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Erste Bewertung des Rot-Grün-Roten Koalitionsvertrages für Berlin

Aktuelles

In Berlin haben sich die Parteien SPD, Grüne und Linke auf einen Koalitionsvertrag und eine neue Regierung für die nächsten 5 Jahre geeinigt. Dabei haben sie sich viel vorgenommen: Es geht um die „Zukunftshauptstadt Berlin. Sozial. Ökologisch.Vielfältig. Wirtschaftsstark.“

Für uns als Sozialverband Deutschland Landesverband Berlin-Brandenburg ist die soziale Weichenstellung entscheidend. Dies gilt ganz besonders in Zeiten von und nach der Corona Pandemie. „Dazu haben wir eine erste Bewertung vorgenommen“, so Prof. Dr. Ursula Engelen-Kefer, Vizepräsidentin und Landesvorsitzende SoVD. Wir werden dies noch zu weiteren Vorhaben der Koalition, insbesondere zu Gesundheit und Pflege vornehmen und freuen uns über jeden Kommentar für unsere weiteren Verhandlungen zur Umsetzung des Koalitionsvertrages.

Das Rote Rathaus in Berlin. Foto: MacGyverNRW_pixabay

Wohnen / Mieten

Im Vordergrund stehen für uns Wohnen und Mieten. Sie werden für viele Menschen immer mehr zu gravierenden Problemen. Geeigneter Wohnraum ist inzwischen auch bei mittlerem Einkommen kaum mehr bezahlbar. Dies gilt ebenso für die sogenannten Wohnnebenkosten mit exorbitant steigenden Energiekosten.

Besonders betroffen sind Familien mit einem oder mehreren Kindern, Menschen in höherem Lebensalter, mit Behinderungen oder auch, wenn sie mit einem fremd klingenden Namen als Migranten erkennbar sind. Am schlimmsten betrifft es Alleinerziehende -zumeist Frauen- mit niedrig bezahlten Tätigkeiten und oft miserablen Arbeitsbedingungen. 

Wenn die neue Regierung in Berlin plant pro Jahr 20 000 neue Wohnungen zu bauen, ist dies ein gutes Signal. Allerdings müssen sie auch bezahlbar sein. Es ist daher zu begrüßen, dass möglichst die Hälfte von ihnen  im „gemeinwohlorientierten und bezahlbaren Segment“ entstehen sollen. Allerdings wird die Praxis erweisen müssen, ob dies auch vor dem Hintergrund des Mangels an Baumaterialien und Arbeitskräften im Wohnungsbau tatsächlich umgesetzt werden kann.

Zudem muss die notwendige Infrastruktur in der Nähe der Wohnungen geschaffen werden.

Dazu gehören Betreuungseinrichtungen für Kinder und Schulen, aber auch Einkaufsmöglich-keiten und Arztpraxen in der Nähe sowie ein Ausbau der Verkehrssysteme vor allem im öffentlichen Personen- und Nahverkehr.

Auch bleibt es bei unseren Forderungen nach einem Kataster auf der Ebene der Bezirke über die Verfügbarkeit von Wohnraum insgesamt, deren Kosten und die Barrierefreiheit. Zu begrüßen ist daher, dass im nächsten halben Jahr zumindest geprüft werden soll, wie „ein Mietkataster für Wohnen und Gewerbe rechtssicher, effektiv und digital“ umgesetzt werden kann.

Seniorenpolitik

Besonders bedeutsam sind auch die vorgesehenen Maßnahmen zur Verbesserung der Seniorenpolitik in Berlin. Dazu ist die Stärkung der Geschäftsstelle in der Landessenioren-vertretung und des Landesseniorenbeirats eine wesentliche Voraussetzung. Dies gilt auch für die Unterstützung der Senioren in der Anwendung digitaler Kommunikation.

Längst überfällig ist die Evaluation und Weiterentwicklung des Seniorenmitwirkungs-gesetzes. Dabei geht es insbesondere um wirksame Strukturen für die Vertretung der Senioren auf der Ebene der Bezirke einschließlich räumlicher, personeller sowie finanzieller Ausstattung. Notwendig ist weiterhin die ressortübergreifende Umsetzung der erst kürzlich novellierten Seniorenleitlinien.

Genauso wichtig ist die Erarbeitung eines Altenhilfegesetzes gemäß SGBXII, § 71  „im Dialogprozeß mit Seniorengruppen“. Danach müssen auch Menschen im hohen Lebensalter die Möglichkeit erhalten, „ selbstbestimmt am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen und ihre Fähigkeit zur Selbsthilfe zu stärken.“ Hierzu sind folgende Leistungen vorzusehen: Beschaffung und Erhaltung einer bedarfsgerechten Wohnung, geeignete „Wohnformen bei Unterstützungs-, Betreuungs- oder Pflegebedarf“,  aber auch kulturelle Teilhabe sowie persönliche Kontaktpflege. „Die interkulturelle und diversitätssensible Öffnung der Altenhilfe wird vorangetrieben.“

Barrierefreiheit / Inklusion

Ein wesentlicher Bereich ist in dem rot-grün-roten Koalitionsvertrag für Berlin aus unserer Sicht auch als großer Behindertenverband die völlig unzureichende Barrierefreiheit und Inklusion. Die Anforderungen an eine behindertengerechte Politik erschöpfen sich weitgehend auf zwar richtige, aber wenig konkrete Absichtserklärungen. So sollen das Landesgleichberechtigungsgesetz und der Maßnahmenplan „Berlin inklusiv“ messbar umgesetzt werden. Hier kommt es darauf an, dass Inhalte, Organisation und Zeitpläne konkret festgelegt und die erforderlichen personellen und finanziellen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Im Koalitionsvertrag enthalten ist die erklärten Absicht, „zeitnah ein inklusives Mobilitätskonzept“ vorzulegen. Die bisherigen Erfahrungen mit der praktischen Umsetzung lassen allerdings Zweifel aufkommen. Genannt seien lediglich die Erfahrungen von Menschen im Rollstuhl, wenn mal wieder die Aufzüge in S-und U-Bahnen ausfallen. Oder unsere monatelangen vergeblichen Bemühungen als SoVD, an zentralen Plätzen in Berlin genügend breite Pollerzugänge für größere Elektrorollstühle sicherzustellen. Im Lebensalltag der auf den Rollstuhl angewiesenen Menschen ist es vielfach eine Odyssee in Berlin von einer Stelle zur anderen zu gelangen.                                      

Es klingt sehr verlockend, wenn in dem Koalitionsvertrag festgestellt wird: „Für Menschen mit Behinderungen fördert die Koalition weiterhin ausreichend alternative Mobilitätsangebote wie Sonderfahrdienst und Begleitdienste.“ Nach dem noch kurz vor den Wahlen verabschiedeten Personenbeförderungsgesetz muss Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr ab 2022 gewährleistet sein. Dies gilt auch für Kleinbusse, Mietwagen und Taxen als verbundene Verkehrssysteme.  Als SoVD begrüßen wir besonders, dass das Förderprogramm für Inklusionstaxis evaluiert und fortgesetzt werden soll. Allerdings ist es noch ein weiter Schritt bei der Überwindung privater Widerstände und bürokratischer Hürden bis zu einem hinreichend breit gefächerten Angebot an Inklusionstaxis.

Für uns als SoVD ist der neue Senat in Berlin gefordert, das Bewusstsein für die Belange der Menschen mit Behinderungen zu schärfen und ihre Würde und Rechte wirksam zu fördern.

Vergabemindestlohn

Als SoVD begrüßen wir die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes bei öffentlicher Vergabe des Landes auf 13 €. Entscheidend ist dabei, dass die Einhaltung des Vergabe Mindestlohnes in Berlin auch wirksam kontrolliert wird.

Nach unserer Auffassung ist für alle Bereiche der öffentlichen und privaten Wirtschaft ein Mindestlohn von 13 € erforderlich, um Armut bei Arbeit und im Alter wirksam entgegenwirken zu können. Die von der neuen Ampelregierung im Bund vorgesehene einmalige Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes auf 12 € ist ein wichtiger Schritt, um die Niedriglöhne von etwa 8 Millionen Arbeitnehmern anzuheben. Dies reicht jedoch nicht aus.